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Bevor ich zum eigentlichen Artikel komme, möchte ich mich gern bei allen hier bedanken, die hier lesen, kommentieren – und deren Kommentare mich zum weiter schreiben aufrüttelten. Manchmal braucht man doch einfach einen Tritt in den Hintern… danke euch allen dafür 🙂 . Auch wenn der folgende Text kein fröhlicher werden wird… aber es kommen auch wieder gute Tage 🙂 .

Ich habe lange überlegt, ob ich etwas zu dem folgenden Thema schreiben soll. Kontrovers ist es sicher… verletzend… vielleicht. Egal, wie neutral man es zu formulieren versucht. Andererseits besteht die Welt nicht nur aus Seifenblasen. Vielleicht ist ein Blog ja genau der richtige Ort, um über Dinge zu sprechen, über die man sonst nicht redet… reden kann.

Schreiben tu ich aus einem gegebenen Anlass im Klinikalltag – der in diesem Moment kaum noch Alltag war.

Es geht um die Verwandtenehe – und die daraus entstehenden Kinder.

Ein paar grundlegende Gedanken vielleicht. Zuerst einmal, und ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt: Ich habe nichts gegen Ehen zwischen Verwandten… grundsätzlich. Ich finde den Gedanken merkwürdig und befremdlich, meinen eigenen Cousin zu heiraten… aber bitte. Ich finde auch andere Vorstellungen seltsam, aber solange alle Beteiligten damit zufrieden sind… warum nicht.

Solche Ehepaare wollen aber nun in der Regel (denn sie stammen in der Regel aus eben den Kulturen, wo man eine große Familie schätzt) auch Kinder. Und hier können – ich sag´s mit Absicht so – dann die Probleme entstehen. Denn die Gene wollen oft nicht so wie wir und je näher wir miteinander verwandt sind, desto näher sind wir uns auch genetisch – mit allen Vorzügen, aber auch allen Fehlern.

Für die Nicht-Genetiker (wie mich *hüstel*) zum Verständnis ein wenig weiter ausgeholt. Ein Mensch besitzt 46 Chromosomen. Davon sind zwei die Geschlechtschromosomen, zweimal x, also XX für die Frau, XY für den Mann. Die restlichen 44 sind jeweils doppelt da, sprich, 22 Paare. Eigentlich ist das ganz nett – wenn ein Teil des Pärchens kaputt ist, kann das andere seine Arbeit noch übernehmen und der Besitzer dieser Chromosomen ist gesund, so als hätte er nur gesunde Chromosomen. Um krank zu werden, müsste auch noch das andere Chromosom dieses Pärchens denselben genetischen Defekt aufweisen. Man nennt das ganze autosomal-rezessiv – das kaputte Chromosom ist nicht das geschlechtsbestimmende und beide müssen defekt sein, damit sich die Krankheit manifestiert. Das ganze gibt es dann auch als gonosomal-rezessiv – sprich, das geschlechtsbestimmende Chromosom ist defekt, der Grund, warum Männer in diesem Falle in der Regel häufiger erkranken – sie haben nur ein X-Chromosom. Es gibt natürlich auch noch unzählige andere Vererbungsmodi – für die Kinder aus Verwandtenehen ist dieser aber in der Regel der entscheidende.

Denn wenn es in einer Familie eben einen… diesen bestimmten Defekt gibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass beide Elternteile ihn tragen und an ihre Kinder weitergeben können, deutlich erhöht… und damit das Risiko für genetische Erkrankungen.

Das ist ja noch eins, mag man denken… no risk, no fun. Ein Risiko, das man eingehen kann, immerhin weiß man ja gar nicht, dass man entsprechende Gene hat. Für solche Familien gibt es die humangenetischen Beratungsstellen, die einen dahingehend informieren können, aber grundsätzlich – ja, find ich auch.

Aber – und jetzt kommt das große Aber… warum muss man es immer und immer wieder versuchen?

Und hiermit schließt sich der Kreis… bei uns ist letztes Jahr ein Kind gestorben… die Eltern Cousin und Cousine. Der genetische Defekt ist bekannt, das Wiederholungsrisiko auch. Zwei gesunde Kinder haben sie und jetzt auch zwei tote. Die Mama ist wieder schwanger. Pränataldiagnostik möchten sie aus religiösen Gründen nicht. Warum tut man sich das an?

Ich verstehe sehr wohl den Wunsch nach einem gesunden Kind. Aber warum quält man sich und seine Familie so sehr… warum lässt man es nicht irgendwann gut sein… spätestens wenn man das gesunde Kind dann auch bekommen hat? Warum geht man sehenden Auges immer und immer wieder in dasselbe Schicksal? Muss es nicht auch furchtbar sein für die Eltern ihre Kinder sterben zu sehen… oft nach langen Wochen der Qual? Zu wissen, dass es wieder passieren kann… und wieder passiert?

Ist es die Familie, die dahinter steht? Gesellschaftliche Druck? Religiöse Ansichten? Die Hoffnung, dass dieses Mal alles gut gehen möge?

Ich weiß es nicht… man kann sie auch nicht fragen, denn im beruflichen Kontext geht es mich nichts an. Wir urteilen nicht… wir versuchen zu helfen, so gut es eben geht. Wir sind für sie da, wenn es den Kindern schlecht geht. Ich habe die Mama im Arm gehabt, als sie nicht mehr konnte und nie ein Wort über meine eigene Meinung geäußert, denn es würde ihr nicht geholfen haben… und es ist nicht an mir mit ihr darüber zu reden. Wir sind da und das ist genug… auch nicht immer, aber es ist alles, was wir geben können.

Aber die Gedanken sind frei… und ich würd´s auch gern verstehen… aber ich tu´s nicht.